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US-Demokrat Joe Biden
Leicht links von der Mitte

Der Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten Joe Biden ist ein Politiker, der versucht, die US-amerikanische Gesellschaft zu versöhnen anstatt sie zu spalten. Seine Fähigkeit zur Empathie macht ihn zu einem gefährlichen Gegner für US-Präsident Donald Trump.

Von Marcus Pindur | 20.08.2020
Präsidentschaftskandidat Joe Biden vor der US-amerikanischen Flagge
Joe Biden gilt als politischer Zentrist (picture alliance/dpa/CNP)
Als die Präsidentschaft Barack Obamas sich dem Ende zuneigte, wurde immer wieder spekuliert, ob sein Vizepräsident, Joe Biden als Präsidentschaftsbewerber ins Rennen gehen würde. Ein Schicksalsschlag setzt dem ein Ende. Bidens Sohn Beau stirbt 2015 mit 46 Jahren an einem Hirntumor. Joe Biden trauert tief um Beau, bringt seine Vizepräsidentschaft noch zu Ende und zieht sich dann aus dem politischen Leben zurück.
Ein politischer Zentrist
Dabei bringt Biden alle Voraussetzungen mit. 36 Jahre im Senat, acht Jahre als Vizepräsident eines zumindest bei demokratischen Wählern sehr beliebten Präsidenten. Ein politischer Zentrist, leicht links von der Mitte. Er war gleichzeitig für die Deregulierung der Banken und trat für Arbeitnehmerrechte ein. Ein charismatischer Redner, der sein Publikum mitreißen konnte, wenn er wollte. Allerdings ist er genauso bekannt für seine Versprecher, die ihn immer wieder der Lächerlichkeit preisgeben. Barack Obama soll ihm geraten haben, seine Reden nur noch vom Teleprompter abzulesen.
US-Wahl 2020
Alle Beiträge zur Präsidentschaftswahl in den USA (dpa/Daniel Bockwoldt)
Große Zustimmung in South Carolina und den Südstaaten
Biden hat eine große Anhängerschaft bei der Latino-Gemeinde und schwarzen Amerikanern. Ihm wird deshalb auch zugetraut, die Obama-Wählerkoalition zusammenzuhalten. Schwarze Wähler haben seinen Wiederaufstieg in den Vorwahlen ermöglicht, weil sie in großer Zahl in South Carolina und den Südstaaten für ihn stimmten:
"Wir sind seine Firewall – so ein schwarzer Pastor bei der Vorwahl in South Carolina."
Biden ist ein katholischer Christ, der dennoch für das Recht der Frauen stritt, über ihren Körper selbst zu bestimmen. Auch, wenn er persönlich Abtreibungen nicht gutheißt.
Bildschirmfoto der C-SPAN-Übertragung der Rede von Senator Bernie Sanders am ersten Tag des Online-Parteitags der Demokraten, der all-virtual 2020 Democratic National Convention.
Bernie Sanders' glühendes Plädoyer für Joe Biden
Der Nominierungsparteitag der Demokraten findet nur online statt. Die zentrale Botschaft des ersten Abends: Bei den kommenden Wahlen muss die Demokratie verteidigt werden. Das betonte auch der Partei-Linke Bernie Sanders.
Trump polarisiert, Biden versucht zu versöhnen
Biden versuchte sein ganzes politisches Leben lang, Gegensätze zu versöhnen, die unversöhnlich erscheinen. Das lässt den 77-Jährigen als ein Überbleibsel aus einer anderen Ära erscheinen und könnte dennoch sein Erfolgsrezept in einem Amerika sein, dass in völlig unversöhnliche Lager gespalten ist.
Während Donald Trump, der Amtsinhaber, alles tut um zu polarisieren und – wie seine Gegner sagen – Amerika zu spalten, bedient Biden das Bedürfnis vieler Amerikaner, in einen normaleren Zustand zurückzukehren: "Jeder solle eine Chance bekommen, seine Talente mit harter Arbeit auszuspielen. Das mache Amerika zu Amerika."
Die Fähigkeit Bidens zur Empathie, zum Mitgefühl, ist es, die ihn zu einem gefährlichen Gegner Trumps macht. Trump griff deshalb Biden als einen der ersten präsidentiellen Mitbewerber der Demokraten auf Twitter an. Biden geht als volksnah durch – das muss dem Populisten im Weißen Haus unheimlich erscheinen.
Joe Biden und Kamala Harris, Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftsbewerber in den USA
"Biden, Harris - ein sehr gutes Aufgebot"
Das Problem Joe Bidens sei, dass die Wähler vor allem gegen Trump seien und nicht für ihn – auch deshalb sei die Wahl von Kamala Harris als Vize so wichtig, sagte der ehemalige US-Botschafter John Kornblum im Dlf.
Die Sache mit der Schrotflinte
Oft ist es genau das, was die Washingtoner Insider und die linken Intellektuellen die Nase rümpfen lässt, was normale Arbeitnehmer und konservativere Bürger auf dem Land an Biden gut finden. So gab es einen Aufschrei im demokratischen Establishment, als Biden vor mehreren Jahren empfahl, wenn man nachts einen Einbrecher befürchtete, solle man auf die Terrasse seines Hauses treten und einmal mit der Schrotflinte in die Luft schießen. Das würde den Einbrecher schon vertreiben.
Immer da, wo die Mitte gerade ist
Die Mischung aus Jovialität und Ernsthaftigkeit, die Biden ausstrahlt, könnte die programmatische Schwäche ausgleichen, die man ihm oft vorwirft. Er ist immer da, wo er die politische Mitte vermutet – bewegt sich die Mitte nach links, dann rutscht auch Biden nach links. So zum Beispiel in der Frage eines grünen New Deal oder der Abschaffung von Studiengebühren an staatlichen Hochschulen.
Das, was seine Gegner Opportunismus nennen, das ist für seine Unterstützer Flexibilität, ohne die man in einer sehr unübersichtlichen und aufgefächerten Gesellschaft nie zu politischen Mehrheiten kommen kann.
Die Demokratische Partei ist geeint
Genützt hat seine Flexibilität Biden in diesem Wahlkampf bereits in zweierlei Hinsicht. Kamala Harris hatte Biden wegen einer Jahrzehnte alten Bürgerrechtsfrage schwerer als alle anderen demokratischen Mitbewerber angegriffen. Biden entschied sich trotzdem für sie als Vizepräsidentschaftskandidatin, schlicht, weil sie die beste Frau im Rennen war. Genauso ging Biden auf seinen Rivalen Bernie Sanders in vielen wirtschaftlichen Fragen zu. Der Linke Sanders bedankte sich mit einem glühenden Appell zugunsten des Zentristen Biden. Die Demokratische Partei ist geeint – ob das reicht für einen Wahlsieg, ist allerdings völlig offen.