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50 Jahre Mariendom in Neviges
Beten im Beton

Die Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges kann man lieben oder hassen. Nur ignorieren kann man sie nicht. Der brutalistische Betonbau des Architekten Gottfried Böhm lässt viele Interpretationen zu: Die einen erkennen darin ein Pilgerzelt, andere sprechen vom Affenfelsen.

Von Monika Dittrich | 02.05.2018
    Ansicht der Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens", einer Kirche aus Beton.
    Brutalismus in Reinform: Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens" in Velbert, Ortsteil Neviges. (Deutschlandradio - Andreas Lemke)
    "Mir gefällt die Kirche total gut, ich finde sie gehört zu Neviges, die hat was Einzigartiges."
    Eine Lokalpatriotin.
    "Als mein Vater das erste Mal diese Kirche gesehen hat, das war an einem grauen regnerischen Novembertag. Und als er am Eingang der Kirche stand, wo es ja nun besonders dunkel ist, war seine erste Reaktion: Eine so hässliche Kirche habe ich noch nie gesehen."
    Frank Krampf, Franziskaner, der im Nevigeser Wallfahrtsdom arbeitet.
    "Neviges ist ja ein wunderbares Beispiel dafür, wie diese Kargheit dann ins Expressive gewendet wird."
    Oliver Elser, Kurator am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main.
    Liebe oder Hass?
    "Ja, es war schon ein besonderer Geist, der dahintersteckte. Und der uns damals imponierte. Da bin ich ja nicht der einzige gewesen."
    Der Kölner Architekt Gottfried Böhm, im Dezember 2017, fast 100 Jahre alt. Einer der berühmtesten deutschen Architekten. Er hat den Mariendom von Neviges entworfen und vor 50 Jahren fertiggestellt. Den Prototypen fürs Beten im Brutalismus.
    Neviges ist ein Bezirk von Velbert, einer Stadt im Bergischen Land in Nordrhein-Westfalen, mit rund 80.000 Einwohnern. Neviges ist berühmt. Weil jedes Jahr tausende Pilger hierherkommen, um ein Marienbild zu verehren. Und weil Neviges seit fünfzig Jahren diese Wallfahrtskirche hat. Man kann sie nur lieben oder hassen. Ignorieren kann man sie nicht.
    Der Mariendom thront erhaben am Rand des Ortes. Man kommt vielleicht vom alten Bahnhof oder spaziert durch die Sträßchen mit den Fachwerkhäusern, und dann türmen sich da diese grauen Betonwürfel auf. Wie eine Skulptur: ein felsiger, verschachtelter Berg aus ineinandergeschobenen Scheiben, Ecken und Spitzen. Manche interpretieren das Gebäude als Pilgerzelt. Andere sprechen vom Affenfelsen.
    "Weil man ja als Katholik geschmückte Kirchen gewöhnt ist, ist das natürlich gewöhnungsbedürftig."
    Besuchern muss er den Bau immer wieder erklären: Franziskaner Frank Krampf
    Besuchern muss er den Bau immer wieder erklären: Franziskaner Frank Krampf (Deutschlandradio / Monika Dittrich )
    "Die Kirche als Gebäude gefällt mir persönlich sehr gut. Ein Gegenstück zu dem früheren Prunk, der früher die katholische Kirche umgeben hat. Und wir gehen hier schon seit Jahrzehnten in den Nevigeser Dom."
    "Ja sicher, die anderen Kirchen sind mehr ausgeschmückt. Ist hier nicht so. Ist alles einfach. Aber trotzdem schön."
    Ein gepflasterter Weg mit langgezogenen Stufen führt leicht bergauf zu jener Kirche, die eigentlich "Maria, Königin des Friedens" heißt. Gesäumt wird der Weg von wellenartigen Betongebäuden, in denen Pilgerräume und ein Kindergarten untergebracht sind.
    "Wir stehen jetzt hier auf dem Pilgerplatz, vor dem Mariendom."
    Frank Krampf ist Franziskaner. Er trägt den braunen Habit mit der hellen Gürtelkordel. Seit dem 17. Jahrhundert sind die Franziskaner in Neviges, sie betreuen die Wallfahrt und auch den Mariendom.
    "Wenn man sich das Gebäude anschaut, dann ist das für viele erstmal verstörend. So viel Beton, so große Betonflächen, die zurzeit auch etwas schmutzig sind."
    Frank Krampf leitet die Wallfahrt in Neviges und führt immer wieder Besucher durch den Mariendom.
    Wenn man die Kirche betritt, steht man in einem dunklen Vorraum mit niedriger Decke.
    "Das ist auch ein Teil der Architektur, der Eingangsbereich ist der dunkelste Ort der Kirche. Und das Licht soll hinführen zum Altar, dass eben der Altar der lichtvollste Punkt ist."
    Und dann faltet er sich plötzlich auf, dieser riesige Raum, bis hinauf in die Spitze des Betonzeltes.
    Altar im Zentrum der Piazza
    Hier erst wird klar: Der Pilgerweg draußen mit dem Muster der Pflastersteine führt bis zum Altar im Zentrum des Kirchenraums. Drumherum die Sitzreihen. Ein Forum soll das sein, eine Art Marktplatz – und so sieht es auch aus. Die Emporen an den Seiten mit ihren Balkonen wirken wie die Häuser an einem städtischen Platz.
    Ursprünglich standen Straßenlaternen in der Kirche, die den Charakter des Marktplatzes betonten.
    "Weil das Licht aber nicht ausgereicht hat, hat man die Lampen verändert. Wir werden aber daran arbeiten, die ursprüngliche Idee hinzubekommen: wirklich Straßenlaternen - eben die Idee vom Marktplatz. Das ist eben diese Idee: Das Angebot dieses Marktes ist Gott."
    Soll an einen Marktplatz erinnern: der Innenraum des kristallin geformten Nevigeser Wallfahrtsdoms
    Soll an einen Marktplatz erinnern: der Innenraum des Nevigeser Wallfahrtsdoms (picture-alliance / dpa )
    Eine Kirche wie ein Marktplatz. Ein Altar im Zentrum der Piazza, umfasst von Sitzreihen. Als diese Kirche vor 50 Jahren, am 22. Mai 1968 eingeweiht wurde, da war das ein radikal moderner Bau. Möglich geworden war eine solche Kirchenarchitektur erst durch tiefgreifende Veränderungen, die beim Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen worden waren.
    Im Oktober 1962 eröffnete Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil. Bischöfe aus der ganzen Welt waren nach Rom gereist, um über eine Erneuerung der katholischen Kirche zu beraten.
    Am Ende des Konzils 1965 standen wegweisende Beschlüsse etwa zur Ökumene und zur Religionsfreiheit. Zu den wichtigen Dokumenten gehört auch die so genannte "Konstitution über die heilige Liturgie". Es war eine grundlegende Reform der Gottesdienstfeier.
    Bis dahin zelebrierten Priester die Messe üblicherweise auf Latein und mit dem Rücken zur Gemeinde, meist an einem Hochaltar, von oben herab. Von nun an galt es, die Messe in der jeweiligen Landessprache zu feiern und sich mehr den Gottesdienstbesuchern zuzuwenden. Es kam der Volksaltar, an dem sich die Gläubigen versammeln sollten. In der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es über die Eucharistiefeier:
    "So richtet die Kirche ihre ganze Sorge darauf, daß die Christen diesem Geheimnis des Glaubens nicht wie Außenstehende und stumme Zuschauer beiwohnen; sie sollen vielmehr durch die Riten und Gebete dieses Mysterium wohl verstehen lernen."
    Hier ist nicht die Rede davon, wie katholische Kirchen konkret aussehen sollen. Und doch war klar: Wenn eine Kirche neu gebaut wird, dann soll sie auch die Ideen des Zweiten Vatikanischen Konzils widerspiegeln. Die sakralen Räume sollten es ermöglichen, dass die Christen nicht mehr "stumme Zuschauer" sind, sondern "tätig mitfeiern" können, wie es in der Liturgiekonstitution heißt.
    10.000 Pilger an einem Sonntag
    Diese Idee setzte sich dann auch in Neviges durch, wo man schon länger darüber nachgedacht hatte, eine neue Wallfahrtskirche zu bauen.
    Die Geschichte der Wallfahrt in Neviges reicht zurück ins 17. Jahrhundert. 1676 berichtete der Franziskanerpater Antonius Schirley, Maria sei ihm erschienen.
    So fing es an mit der Wallfahrt in Neviges, und schon bald kamen die Pilger in Strömen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es bis zu 300.000 Pilger pro Jahr, manchmal kamen bis zu 10.000 an einem einzigen Sonntag. Viel zu viele für die kleine Pfarrkirche.
    "Und im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils ließ sich dann Kardinal Frings als Erzbischof von Köln davon überzeugen, dass es gut ist für Neviges, eine neue Kirche zu bauen. Die den neuen liturgischen Bedingungen entspricht und auch die Fülle der Pilger aufnehmen kann."
    Der Kölner Erzbischof Kardinal Frings hatte selbst am Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom teilgenommen. Er gehörte zu den Reformern in der Katholischen Kirche. Die Ideen und Beschlüsse, die er vom Konzil mitgebracht hatte, wollte Frings in Neviges umgesetzt sehen.
    "Er hat gesagt, wenn wir das jetzt machen, dann muss das eine Kirche sein, die dieses radikal Neue jetzt unterstreicht."
    Architekturmodell zum Abtasten
    Als Frings den Wettbewerb für die Wallfahrtskirche in Neviges ausschrieb, erreichte Gottfried Böhm zunächst nicht den ersten Platz. Doch der Erzbischof, der damals bereits fast blind war, begeisterte sich für das Architekturmodell, das Böhm eingereicht hatte und das er abtasten konnte. Und so gab es einen zweiten Wettbewerb, bei dem Böhm schließlich den Zuschlag bekam, den Mariendom zu bauen. Die Kirche sollte eines seiner bedeutendsten Bauwerke werden.
    Radikal mutig: Mariendom-Architekt Gottfried Böhm
    Radikal mutig: Mariendom-Architekt Gottfried Böhm (Deutschlandradio / Monika Dittrich)
    Gottfried Böhms Werk strahlt weltweit. Schon sein Vater Dominikus Böhm war ein herausragender Kirchenbaumeister. Und auch drei seiner vier Söhne arbeiten als Architekten.
    Zu Gottfried Böhms wichtigsten Bauwerken gehören viele Kirchen, zum Beispiel die Kölner Kapelle "Madonna in den Trümmern", aber auch Profanbauten wie das Bensberger Rathaus oder das Potsdamer Hans-Otto-Theater. 1986 wurde Gottfried Böhm als erster deutscher Architekt mit dem angesehenen Pritzker-Preis ausgezeichnet.
    Im Januar ist Gottfried Böhm 98 Jahre alt geworden. Gehen und Sprechen fallen ihm schwer, doch dem Interview für diese Sendung hat er sofort zugestimmt.
    "Grüß' Sie Gott!"
    Das Interview findet in Böhms Haus in Köln-Marienburg statt. Er sitzt in einem Sessel, den Rollator neben sich. Schlohweißes Haar, schwarze Fleecejacke, weißes Hemd. Auf dem Tisch vor ihm liegt ein zerlesener Band von Max Frischs "Homo Faber". Den habe er gerade noch gelesen, erzählt er.
    Das Zweite Vatikanische Konzil: "Eine Befreiung"
    Es ist noch nicht lange her, da ging der Architekt und studierte Bildhauer noch jeden Tag ins Büro, wo jetzt sein Sohn arbeitet, und hat mitgemacht: entworfen, gezeichnet, nach Lösungen gesucht. Das sei ihm jetzt zu anstrengend geworden. Doch die Schaffenskraft hat ihn noch nicht verlassen.
    "Ich mache jetzt lauter so verrückte Zeichnungen."
    Auf einem kleinen Schreibtisch im selben Raum liegen Rollen mit Zeichenpapier, Stifte, Lineale, Anspitzer. Auf einigen Skizzen sind sakrale Räume zu erkennen, Türme und Säulen, haarscharf gezeichnet und zart coloriert, manche davon erinnern in ihrer expressionistischen Form an den Mariendom in Neviges.
    "Lauter so verrückte Zeichnungen": Skizzen auf dem Arbeitstisch von Gottfried Böhm
    "Lauter so verrückte Zeichnungen": Skizzen auf dem Arbeitstisch von Gottfried Böhm (Deutschlandradio / Monika Dittrich)
    Dass die Wallfahrtskirche in der Literatur immer wieder als Böhms Hauptwerk bezeichnet wird, lässt er sich gern gefallen. Die Kirche sei doch wirklich interessant, sagt er, und spricht gleich über die besondere Konstruktion des Gebäudes, bei der sich Wände und Decken gegenseitig stützen. Das Zweite Vatikanische Konzil, sagt Böhm, sei für Kirchen-Architekten wie ihn damals eine Befreiung gewesen.
    "Ja, es war schon ein besonderer Geist, der dahintersteckte. Und der uns damals imponierte. Dass das ganze menschlicher wurde, mit den Menschen verbunden und nicht etwas Abgehobenes sein sollte. Sondern etwas ganz Gemeinsames."
    "Es stockt - das Verhältnis der Kirche zur Menschheit"
    Die katholische Kirche als Bauherrin sei bereit gewesen, radikal modern und avantgardistisch zu bauen:
    "Positiv habe ich das erlebt, dass die das so mitgemacht haben. Das war ja auch im Zelebrieren, im Umgang mit den Gläubigen, war das anders auf einmal, das war schon toll und angenehm. Vielleicht müsste das auch jetzt noch toller werden können. Ich weiß auch nicht, es stockt so in der Art. Das Verhältnis der Kirche zur Menschheit."
    So wurde der Kirchenbau nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu einem Experimentierfeld für Architekten. Der Mariendom in Neviges ist ein gutes Beispiel dafür. Er wird der Architekturrichtung des Brutalismus zugerechnet.
    "Brutalismus ist eine Punk-Haltung"
    "Das Ganze bezieht sich auf den Begriff Beton brut, den der Architekt Le Corbusier zuvor verwendet hat bei einem Wohnungsbau."
    Oliver Elser ist Kurator am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main. Dort hat er kürzlich eine große Ausstellung über Brutalismus organisiert.
    "Der Begriff kommt aus dem französischen Bereich, man denke an Champagner, brut, also trocken, herb. Heute würde man sagen Sichtbeton. Also das ist unveredelter, einfach nur aus der Schalung rausgenommener, roher, grober Beton."
    "Provokation, vor der ich nicht flüchten kann" - brutaler Sichtbeton statt Fachwerkidylle
    "Provokation, vor der ich nicht flüchten kann" - brutaler Sichtbeton statt Fachwerkidylle (picture-alliance / dpa / Hendrik Bohle)
    Den Begriff des Brutalismus auf die Vokabel für den rohen Beton zu reduzieren, wäre aber nur die halbe Wahrheit. Brutalismus hat tatsächlich auch etwas mit ästhetischer Brutalität zu tun, mit Beton-Kolossen, deren Material und Konstruktion nicht hinter Fassaden versteckt werden, die nicht schmückend oder gefällig sein wollen. Oliver Elser:
    "Es ist eine Punk-Haltung. So wie der Punk seine Kleider mit Sicherheitsnadeln zusammenhält, so zeigen die Brutalisten, woraus ihre Gebäude gebaut sind. Die Materialien werden alle offen angewendet, es gibt keine Verkleidung, keinen Verputz, es wird gezeigt, was es ist. Ich sehe genau, woraus ein Gebäude besteht."
    Gottesburgen, Sakralhöhlen, Gebetsscheunen
    Die meisten Bauwerke dieses Architekturstils entstanden zwischen Mitte der 1950er bis in die siebziger Jahre hinein, und zwar fast auf der ganzen Welt. Typische Beispiele für Brutalismus in Deutschland sind etwa die Ruhr-Universität in Bochum oder das Olympische Dorf in München. Und: Kirchen. Immer wieder Kirchen. Das hat auch mit einem Kirchenbau-Boom in dieser Zeit zu tun, wie der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt einmal schrieb:
    "Die sozialen Veränderungen, die Ansiedlung Millionen Vertriebener, der Auszug der Innenstadtbevölkerung an die Stadtränder bedingten auch für die Kirchen eine Bautätigkeit wie nie zuvor. Dabei entfalteten beide Konfessionen einen nicht mehr katalogisierbaren Pluralismus: lichte Schreine, kristalline Faltwerke, schutzgewährende Gottesburgen, freigeformte Sakralhöhlen, demütige Gebetsscheunen." (Pehnt, Deutsche Architektur, S. 304)
    Wobei der Brutalismus überwiegend die "schutzgewährenden Gottesburgen" hervorbrachte. Damit entstand eine neue Vorstellung sakraler Räume, sagt Oliver Elser vom Deutschen Architekturmuseum.
    Betonzelt von oben: der Nevigeser Wallfahrtsdom in Nordrhein-Westfalen
    Betonzelt von oben: der Nevigeser Wallfahrtsdom in Nordrhein-Westfalen (imago stock&people)
    "Wenn Sie sich die Architektur-, aber auch die Gesellschaftsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg anschauen, dann ist es ja so, wir in Deutschland sprechen von Wellen, die die Gesellschaft erfasst haben: von der Fress-Welle, von der Reise-Welle - mit dem VW über den Brenner nach Italien. Und in diesen Wellen, die alle sehr konsumistisch, sehr konsumorientiert waren, haben die Kirchen einen eigenen Weg gewählt, auch in der manchmal spröden Architektur des Wiederaufbaus, haben die Kirchen oft eine Form von monumentalisierter Kargheit für sich in Anspruch genommen. Und Neviges ist ja ein wunderbares Beispiel dafür, wie diese Kargheit in das Expressive gewendet wird."
    "Für Viele nicht leicht auszuhalten"
    Karg und expressiv: Das findet nicht jeder schön in der Wallfahrtskirche in Neviges, räumt Franziskaner Frank Krampf ein.
    Er steht jetzt in der Mitte des Kirchenraums, gleich neben dem Altar. An der großen Rückwand: nichts. Kein Bild, keine Darstellung. Nur Beton – auf dem das Muster der Holzverschalung zu erkennen ist. Wer im Gottesdienst sitzt und auf diese Wand blickt, sagt der Franziskaner und Wallfahrtsleiter, empfinde das vielleicht als Herausforderung:
    "Der Bau dieser Kirche ist für viele Menschen nicht so leicht auszuhalten. In dem Sinne glaube ich, ist dieses Gebäude auch eine Provokation, aber eine, wo ich nicht vor mir selbst flüchten kann. Wie ich bin, vor Gott, vor dem Leben, das spiegelt sich zurück. Es gibt nicht so viele Ablenkungen hier wie in einer großen barocken Kirche. Ich muss bereit sein, das auszuhalten. Es hilft mir aber auch, mich zu konzentrieren."
    Berühmt sind im Mariendom auch die Fenster, die ebenfalls Gottfried Böhm entworfen hat. Starke Farben und Motive sind ein auffälliger Kontrast zu den grauen Betonwänden. Das grün leuchtende Schlangenfenster zum Beispiel, auf dem Weg zum Beichtstuhl. Oder das knallrote Rosenfenster.
    "Wenn morgens beim Sonnenaufgang die Sonne durch dieses Fenster scheint, dann kriegt die ganze Kirche einen rötlichen Schimmer. Dann wirkt die nicht mehr so düster oder für manche trist, sondern dann hat sie diese rote Farbe. Und rot ist ja die Farbe des Heiligen Geistes, auch des Blutes und die Farbe der Liebe. Genau in diesen Farbtönen wird die Kirche dann ausgestrahlt."
    Die Rose ist ein wiederkehrendes Motiv in der Wallfahrtskirche von Neviges. Manche Besucher finden sogar, die äußere Form der Kirche, also der ganze Betonberg, erinnere an eine aufgehende Rosenknospe. Man brauche für diese Kirche einen Schlüssel, sagt der Franziskaner Frank Krampf, einen Schlüssel, um die Schönheiten dieses Bauwerks aufzuschließen und zu entdecken:
    "Aber wenn man bestimmte Zugänge hat, was wollen die Räume, was wollen die Fenster, dass ich eigentlich für jede Lebenssituation einen Ort finden kann, der Freude, der Trauer, der Übersicht, des Rückzugs, des Mittendrinseins. Ich glaube, dann wird das eine Kirche sein, an der sich viele Leute erfreuen können und wo sie auch einen Zugang finden und der ihnen hilft, im eigenen Glauben gestärkt zu sein."