Mittwoch, 24. April 2024

Was in den Medien fehlt
Die "Vergessenen Nachrichten“ des Jahres

Tag für Tag kommt Wichtiges in den Medien zu kurz. Die „Initiative Nachrichtenaufklärung“ und die Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion haben nun wieder ihre Rangliste der „Vergessenen Nachrichten“ des Jahres veröffentlicht. Es geht diesmal um Umweltschutz und die digitale Welt, aber auch um vernachlässigte Krankheiten und die Suizid-Rate in der Landwirtschaft.

04.04.2024
    Ein Dlf-Mikrofon liegt auf einem Tisch
    Die Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion beteiligt sich an der Suche nach den "Vergessenen Nachrichten" (Deutschlandfunk )
    Wenn Nachrichten "vergessen" werden, liegt das häufig an Großthemen, die andere Inhalte verdrängen. Es hat aber auch mit den Strukturen im Mediengeschäft zu tun: Berichterstattung wird häufig an Tagesaktualität, besondere Ereignissen oder Prominenz der Akteure geknüpft. Hier ziehen immer wieder Themen den Kürzeren, trotz aller Relevanz.
    Die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V. veröffentlicht einmal im Jahr in Kooperation mit der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks eine Liste mit zehn Themen und Geschichten, die im vergangenen Jahr keine oder kaum Erwähnung gefunden haben. Diese Liste wird von einer Jury aus Wissenschaftlern und Journalistinnen zusammengestellt. Sie ist nicht als abschließend gedacht. Die Themen stehen stellvertretend für viele andere vergessene Inhalte.
    Im Folgenden dokumentieren wir die Rangliste, die die Initiative Nachrichtenaufklärung erarbeitet und am 4.4.2024 gemeinsam mit der Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion veröffentlicht hat.

    Thema Nummer eins: Die Phytosanierung

    Einige Pflanzen sind in der Lage, über ihre Wurzeln Schwermetalle aufzunehmen und in ihrer Biomasse zu speichern. Das Verfahren der Phytosanierung nutzt dies, um mit Schwermetallen kontaminierte Flächen und Gegenden umweltfreundlich zu säubern. Durch ein Phytomining können die gespeicherten Schwermetalle sogar aus der Pflanze zurückgewonnen werden. So können belastete Lebensräume kostengünstig gereinigt und wiederhergestellt werden. Dennoch wird darüber kaum berichtet.

    Thema Nummer zwei: Verdrängung durch Tech-Monopole

    Der mit Abstand größte Teil des Internets liegt brach: Webangebote abseits von Youtube, Facebook & Co. finden praktisch keine Aufmerksamkeit. Zu diesem Ergebnis kommt der Medienwissenschaftler Martin Andree auf Basis empirischer Analysen, und er betont die demokratiegefährdenden Auswirkungen. Obwohl viele Medien mit ihren Angeboten selbst betroffen sind, gibt es nur wenig Berichterstattung.

    Thema Nummer drei: Wenn Google Grenzen verschiebt

    Zahlreiche Grenzen in der Welt sind umstritten. Der Nahe Osten, China und seine Nachbarschaft oder die von Russland besetzten Gebiete der Ukraine sind nur drei Beispiele. Den weltweiten Markt für Online-Karten dominiert Google Maps. Obwohl es bei Google offiziell lautet, man zeige bestmöglich „die Wahrheit“ an, kommt es in der Realität oft darauf an, aus welchem Landesnetz eine Karte aufgerufen wird: In Indien wird den Nutzern angezeigt, dass ganz Kaschmir zu Indien gehört - im Rest der Welt nicht. In der Türkei wird den Nutzern angezeigt, dass die „Türkische Republik Nordzypern“ unabhängig ist vom übrigen Zypern - im Rest der Welt nicht, und so weiter. In Deutschland wird über diese problematische Praxis so gut wie nicht berichtet.

    Die weiteren Themen in Schlagzeilen:

    • Thema Nummer vier: Was für ein Reinfall: Schlaglöcher in Deutschland und Großbritannien
    • Thema Nummer fünf: Noma - eine kaum bekannte Tropenkrankheit tötet jährlich zehntausende Kinder
    • Thema Nummer sechs: Titandioxid: in Lebensmitteln verboten – in Medikamenten erlaubt?
    • Thema Nummer sieben: Das Weltsozialforum - ein Gegenmodell zum Weltwirtschaftsforum Davos
    • Thema Nummer acht: Die Crossover-Nierenspende
    • Thema Nummer neun: Zwischen Bürokratie und Schule - Doppelbelastung von Kindern in migrantischen Familien
    • Thema Nummer zehn: Allein auf dem Acker – Suizide in der Landwirtschaft
    Erläuterungen zu diesen Themen finden Sie auf der Seite der Initiative Nachrichtenaufklärung.

    Einschätzungen zur Liste der „Vergessenen Nachrichten“ 2024:

    Wir freuen uns, mit dem Topthema 1, der Phytosanierung, einem sehr konstruktiven Thema zu öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen. Ebenso wichtig, wie Lösungen aufzuzeigen, ist es darüber zu wachen, dass Medien sich nicht umsatzstrategischen oder geopolitischen Machtinteressen beugen. Auch diesen und weiteren spannenden Themen tragen wir Rechnung, um für eine dringend erforderliche Themenvielfalt einzutreten”, sagt Prof. Dr. Hektor Haarkötter, INA-Vorsitzender und Professor für politische Kommunikation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

    Für Deutschlandfunk-Nachrichtenchef Dr. Marco Bertolaso ist die Suche nach den "Vergessenen Nachrichten" tägliche Aufgabe seiner Redaktion. "Erst Corona, dann der Überfall auf die Ukraine und nun der Nahe Osten - Megathemen dominieren die Agenda und binden journalistische Ressourcen. Aber auch die Reichweitenlogik der digitalen Plattformen lässt vielen wichtigen Inhalten kaum eine Chance. Es ist die Aufgabe insbesondere öffentlich-rechtlicher Nachrichtenredaktionen, solche Monokulturen der Information zu verhindern."

    Zum Hintergrund:

    Die Themen hat auch in diesem Jahr wieder eine Jury aus Medienwissenschaftlern, Journalisten und Experten ausgewählt. Ausgangspunkt sind Vorschläge aus der Bevölkerung. Per E-Mail, Post oder Webformular können bei der Initiative Nachrichtenaufklärung auch jetzt bereits wieder vernachlässigte Nachrichten für das kommende Jahr vorgeschlagen werden. Studentinnen und Studenten an mehreren deutschen Hochschulen überprüfen dann, ob die Themen und Nachrichten zutreffend sind und ob sie tatsächlich von den Medien vernachlässigt wurden. Alle Themen, die diese Kriterien erfüllen, werden der Jury vorgelegt. Diese entscheidet dann, welche der Themen sie für besonders relevant hält.